VfGH: Umfassendes Medienprivileg des § 9 DSG ist verfassungswidrig

von Lieb Rechtsanwälte

Medien dürfen nicht prinzipiell von Datenschutzbestimmungen ausgenommen sein.

Es sei verfassungswidrig, Datenverarbeitungen durch Medienunternehmen, die zu journalistischen Zwecken erfolgen, vollends von den Bestimmungen des Datenschutzgesetzes (DSG) auszunehmen. Das undifferenzierte „Medienprivileg“ verstoße gegen das Grundrecht auf Datenschutz. Aufgrund des § 9 DSG sind Medien bei der Verarbeitung personenbezogener Daten zu journalistischen Zwecken von der EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) sowie vom DSG selbst im Wesentlichen ausgenommen. So findet zum Beispiel die Regelung der Gewährleistung von Betroffenenrechten sowie der Grundsatz der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung keine Anwendung.

So zumindest die bisherige Gesetzeslage. Dies wird sich nun ändern müssen. Der Verfassungsgerichtshof konstatiert, dass Medien nicht prinzipiell von den Datenschutzbestimmungen ausgenommen sein dürften und es einer ausdifferenzierten Regelung bedürfe. Der Gesetzgeber hat nun bis Anfang Juli 2024 Zeit, eine entsprechende Regelung, die insbesondere eine Interessensabwägung zwischen dem Grundrecht auf Datenschutz und der Meinungsfreiheit vorsieht, zu treffen. Der VfGH schlägt dem Gesetzgeber unter anderem vor, als Ausgleich zum Medienprivileg den Medien erhöhte Anforderungen an die interne Organisation, Dokumentation und technische Sicherung der verarbeiteten Daten aufzuerlegen.

Zum Verständnis: Art. 85 EU-DSGVO erlaubt es den Mitgliedsstaaten bestimmte Abweichungen und Ausnahmeregelungen von der EU-DSGVO zu schaffen, um den Ausgleich zwischen den Interessen „Datenschutz“ einerseits und dem Recht der Pressefreiheit andererseits zu ermöglichen. Das sog. Medienprivileg soll genau diesen Ausgleich schaffen und gewährt daher bestimmte Ausnahmen vom Datenschutzrecht zu journalistischen Zwecken. Umgesetzt wurde das Medienprivileg in Österreich in § 9 I DSG. Eben diese Vorschrift hat der VfGH jetzt für verfassungswidrig erklärt.

Grund der Entscheidung war unter anderem die Beschwerde eines Mannes an die Datenschutzbehörde, da dessen Visitenkarte ungeschwärzt in einem Beitrag und auf Bildern über eine Hausdurchsuchung auf der Website eines Medienunternehmens zu sehen gewesen war. Die Beschwerde wurde von der Datenschutzbehörde „wegen Unzuständigkeit“ zurückgewiesen. Der Betroffene beschwerte sich daraufhin beim Bundesverwaltungsgericht, welches beim VfGH den Antrag stellte, das Medienprivileg als verfassungswidrig aufzuheben.

§ 9 I DSG sieht vor, dass das DSG sowie genauer bezeichnete Teile der EU-DSGVO auf journalistische Datenverarbeitungen durch Medieninhaber und andere Angehörige des Berufsfeldes nicht anzuwenden sind. Der VfGH stellte jedoch nun klar, dass diese prinzipielle Ausschließung von Medien aus dem Anwendungsbereich des DSG und der EU-DSGVO dem Grundrecht auf Datenschutz widerspreche. Ein gesetzlicher Eingriff in das Recht auf Datenschutz sei nämlich nur dann zulässig, wenn der Eingriff zur Wahrung überwiegender berechtigter Interessen eines anderen erforderlich ist. Der Gesetzgeber sei daher stets gehalten, eine Abwägung zwischen dem Interesse des Betroffenen am Schutz seiner personenbezogenen Daten und den gegenläufigen berechtigten Interessen eines anderen vorzusehen. Der VfGH führt unter Verweis auf die EuGH-Rechtsprechung aus, dass Ausnahmen und Einschränkungen in Bezug auf den Datenschutz auf das absolut Notwendigste zu beschränken seien.

In der demokratischen Gesellschaft nehmen Medien als „public watchdog“ eine zentrale Rolle im öffentlichen Interesse wahr. Aufgrund der Meinungs- und Informationsfreiheit seien Ausnahmen vom Datenschutz erforderlich, wenn die Datenschutzbestimmungen mit den Besonderheiten der Ausübung journalistischer Tätigkeit nicht vereinbar wären.

Der VfGH stellte klar, dass das Grundrecht auf Datenschutz es nicht erlaube, prinzipiell der Meinungs- und Informationsfreiheit für Tätigkeiten, die zu journalistischen Zwecken ausgeübt werden, den Vorrang vor dem Schutz personenbezogener Daten einzuräumen. An der Verfassungswidrigkeit der generellen Privilegierung ändere auch die Tatsache nichts, dass Datenschutzverletzungen durch mediale Datenverarbeitungen mitunter nach zivilrechtlichen oder medienrechtlichen Bestimmungen vor den ordentlichen Gerichten verfolgt werden können.

Wie der Gesetzgeber diese Anforderungen umsetzten wird, bleibt abzuwarten.

 

Ein Blick ins Nachbarland: Ist auch das deutsche Medienprivileg in Gefahr?

 

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