Nachhaltigkeit und Kartellrecht – Ein unauflösliches Spannungsverhältnis?

von Lieb Rechtsanwälte

Der österreichische Gesetzgeber hat – trotz bestehender Sorgen vor einem Greenwashing verbraucherschädlicher Absprachen – als erster europäischer Gesetzgeber im Jahr 2021 eine gesetzliche Regelung zur Ausnahme von Nachhaltigkeitsvereinbarungen aus dem Kartellverbot erlassen. Dienen unternehmerische Kooperationen dem Zweck eines nachhaltigeren, ökologischeren und klimaneutraleren Wirtschaftens, so können diese Absprachen ausnahmsweise vom Kartellverbot freigestellt werden. Ergänzend hat die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) Leitlinien veröffentlicht, in welchen die Sichtweise der BWB auf die „grüne“ Regelung dargestellt wird. Gleichzeitig bemüht sich der Beitrag der BWB darum, der Praxis nähere Hinweise zur Anwendung der Nachhaltigkeitsausnahme zu geben. Der folgende Beitrag soll einen Überblick über das österreichische „grüne Kartellrecht“ geben.

Nachhaltigkeit spielt eine immer größere Rolle in der Wirtschaft, in der Politik und bei Verbrauchern. Die Nachhaltigkeit eines Unternehmens und die Nachhaltigkeit der Produktherstellung stehen immer mehr im Fokus des Konsumenten und werden kaufentscheidend. Die Nachhaltigkeit eines Produktes wird somit immer mehr zu einem Wettbewerbsfaktor. Es ist daher nicht verwunderlich, dass aufgrund dieser steigenden Relevanz des Themas Nachhaltigkeit, dieses zum Gegenstand von Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen zwischen Unternehmen wird und dadurch den Markt potenziell beeinflusst. Nachhaltigkeitsziele können aus vielen Gründen Anreize für Kooperationen setzen (z.B. Vermeidung der First-mover-disadvantage). An „grünen“ Absprachen und Kooperationen teilnehmende Unternehmen können allerdings in Konflikt mit dem Kartellrecht geraten. Zwar sind soziale und ökologische Initiativen von der Gesellschaft gewünscht, jedoch können sie als wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen unter das Kartellrechtsverbot fallen (Art. 101 I AEUV, § 1 KartG). Nachhaltigkeitskooperationen, die eine Wettbewerbsbeschränkung mit sich bringen, müssen daher stets auf die Vereinbarkeit mit dem Kartellrecht geprüft werden.

1. Allgemeines zum Kartellrecht

Das Kartellrecht ist in Deutschland im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verankert, in Österreich finden sich entsprechende Regelungen insbesondere im Kartellgesetz (KartG). Darüber hinaus enthalten Art. 101 AUEV und Art. 102 AEUV europarechtliche Regelungen. Ziel des Kartellrechts ist die Aufrechterhaltung der sozialen Marktwirtschaft und die Sicherstellung der Einhaltung der „Spielregeln“ des Marktes. In Deutschland wie in Österreich wird das Modell der sozialen Marktwirtschaft gelebt, das heißt der Markt wird von Angebot und Nachfrage beherrscht. Durch das Kartellrecht soll die freiheitliche Gestaltung des fairen Wettbewerbs gewährleistet werden, indem die Beeinflussung des Wettbewerbs durch Absprachen zwischen den Unternehmen verhindert und sanktioniert werden soll. Denn Absprachen und vergleichbare Maßnahmen von Unternehmen, die den Wettbewerb beeinflussen und verfälschen haben negative Konsequenzen auf Preise, Innovation und Vielfalt der angebotenen Produkte. Mithin schützt das Kartellrecht auch den einzelnen Verbraucher, denn es wird verhindert, dass dieser zum Opfer von Absprachen und Vereinbarungen wird, die zu seinem Nachteil ausgehandelt wurden. All diese negativen Konsequenzen versucht das Kartellrecht zu verhindern beziehungsweise dazu führende Maßnahmen zu sanktionieren.

Im Grundsatz kann festgehalten werden, dass jegliche den Wettbewerb beschränkende Maßnahme als kartellrechtswidrig anzusehen ist. Jedoch sehen das GWB, das KartG sowie Art. 101 III AEUV Freistellungstatbestände vor, die eine bestehende Wettbewerbsbeschränkung ausnahmsweise für zulässig erklären.

2. Die Besonderheit des österreichischen Kartellrechts – Der „grüne“ Freistellungstatbestand

Im Unterschied zu den deutschen Kartellrechtsregelungen und denen der EU, spielt im Rahmen der Freistellung vom Kartellverbot in Österreich der Faktor Nachhaltigkeit seit 2021 eine Rolle. Wie bereits oben beschrieben, hat sich der österreichische Gesetzgeber für eine kleine, aber in Bezug auf das Thema Nachhaltigkeit entscheidende Gesetzesergänzung entschieden und diese in § 2 I KartG normiert.

§ 2 I KartG entspricht nahezu dem Wortlaut von Art. 101 III AEUV, wurde jedoch im Vergleich zur EU-rechtlichen Regelung um einen Aspekt modifiziert. Nach der österreichischen Gesetzeslage ist der Verbraucher auch angemessen am erforderlich Effizienzgewinn beteiligt, wenn der Gewinn, der aus der Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder der Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts entsteht, zu einer ökologisch nachhaltigen oder klimaneutralen Wirtschaft wesentlich beiträgt. Wobei der Gesetzgeber unter ökologischer Nachhaltigkeit den rücksichtsvollen und vorausschauenden Umgang mit natürlichen Ressourcen, insbesondere den Kilmaschutz, den Schutz der von Wasserressourcen, den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft und den Schutz und die Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme versteht. Nicht in den Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung fällt somit der Faktor der sozialen Nachhaltigkeit.

Bei der Nachhaltigkeitsausnahme nach § 2 I KartG handelt es sich um eine Fiktion einer angemessenen Verbraucherbeteiligung, wenn eine Absprache zwischen Unternehmen einen wesentlichen Beitrag zu einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaft leisten. Wichtig bei der Prüfung des Freistellungstatbestandes ist, dass die übrigen Freistellungsvoraussetzungen nach wie vor vollumfänglich erfüllt sein müssen, damit die Nachhaltigkeitsausnahme greifen kann und Unternehmen diese in Anspruch nehmen können. Im Einklang mit Art. 101 III AEUV bedeutet dies, dass (1.) Effizienzgewinne erzielt werden müssen, (2.) die Verbraucher angemessen beteiligt sein müssen (hier greift die Vermutungsregelung), (3.) die Einschränkung des Wettbewerbs für die Erreichung des angestrebten Ziels unerlässlich sein muss und (4.) der Wettbewerb nicht ausgeschalten werden darf. In Bezug auf die vier Voraussetzungen einer Freistellung nach dem AEUV weicht das nationale Recht nicht von den EU-rechtliche Bestimmungen ab. Die Quintessenz der österreichischen Regelung liegt in der Fiktion, dass eine angemessene Verbraucherbeteiligung im Sinne von Nr. 2 als erbracht anzusehen ist, wenn der mit der Absprache angestrebte Effizienzgewinn mit einem wesentlichen Beitrag zu einer ökologisch nachhaltigen oder klimaneutralen Wirtschaft einhergeht.

Die gesetzgeberische Initiative Österreichs im Hinblick auf die Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen Kartellrecht und Nachhaltigkeit ist zu begrüßen. Denn die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele (Stichwort European Green Deal und Sustainable Development Goals der UN) kann ohne das Zutun der Wirtschaft schwerlich erreicht werden. Die Gesellschaft wünscht sich zwar nachhaltiges Verhalten der Unternehmen, ein Teil der Konsumenten ist jedoch gleichzeitig nicht dazu bereit, einen höheren Preis für nachhaltig entwickelte Produkte zu bezahlen. Die Konsequenz hieraus ist, dass die „grünen“ Produkte nicht wettbewerbsfähig sind. Dieses Problem kann durch Absprachen zwischen Unternehmen gelöst werden, denn die Unternehmen können beispielsweise von den Entwicklungsfortschritten der anderen Unternehmen profitieren und so den auf den Verbraucher umzulegenden Preis reduzieren.

Nicht gesetzlich vorgeschrieben sind die Methoden der Messung behaupteter Effizienzsteigerungen. Diese werden – wie im Kartellrecht üblich – der Praxis überlassen. Die weitere (europaweite) Entwicklung zum Thema Nachhaltigkeit und Kartellrecht bleibt abzuwarten.

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